Foto: Wikipedia, Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0

Stadion-Neubau als Grundlage des Erfolgs des 1. FC Magdeburg

Der 1. FC Magdeburg gehört zu den faszinierendsten Vereinen in der 2. Bundesliga. In der heimischen MDCC-Arena sind die Fans eine Macht, ehrfürchtig wird vom „lautesten Stadion der Liga“ gesprochen (quasi die Hölle des Ostens 😉). Die Heimspiele finden aktuell im Schnitt vor über 24.600 Zuschauern statt und ein großer Anhang folgt dem Club auch auf Auswärtsspiele – mit rekordverdächtigen 15.000 Fans in der letzten Saison beim Spiel gegen Hannover 96.

Dass Stadt, Verein und Fans heute diese Erfolge feiern können, liegt an einer weitsichtigen und mutigen Entscheidung in einer Zeit, als es ganz anders um den Verein bestellt war. Als 2004 die Entscheidung für ein neues Stadion anstand, hatte der 1. FC Magdeburg 14 Jahre Tristesse in Regional- und Oberliga hinter sich, war erst zwei Jahre zuvor nach einem einjährigen Intermezzo in der 3. Liga wieder abgestiegen, war im Zuge dessen sogar insolvent gegangen und pendelte im Zuschauerschnitt zwischen 2.000 und 3.000 Zuschauern. Dennoch hatte der Rat der Stadt Magdeburg Vertrauen in das große Potenzial, dass der Fußball in Stadt und Region entfachen kann, und beschloss den Bau einer reinen Fußball-Arena für über 27.000 Zuschauer für insgesamt 31 Millionen Euro.

Einen Teil dieser Geschichte konnte ich hautnah miterleben, da ich von 2000—2011 in Magdeburg studiert und gearbeitet und öfter die Spiele des FCM verfolgt habe. Aus dieser Zeit kenne ich noch Malte Zander. Malte war zum ersten Mal in den 1980ern beim 1. FC Magdeburg, besucht seit Mitte der 1990er Jahre regelmäßig die Spiele und begleitet den Club seit 2014 auch journalistisch für die dpa – und das gerne auch mal kritisch. Dazu stammen nicht unerhebliche Teile der englischsprachigen Wikipedia-Seite zum Verein auf seiner Feder.

Ich habe mit Malte das folgende Gespräch über die Entwicklung des 1. FCM und den Einfluss, den der Stadion-Neubau auf diese Entwicklung hatte, geführt.


Der 1. FC Magdeburg gehörte zu den erfolgreichsten Mannschaften der DDR, holte in dieser Zeit drei Meisterschaften, wurde sieben Mal FDGB-Pokalsieger und ist die einzige Mannschaft der DDR, die einen europäischen Titel gewinnen konnte (Europapokal der Pokalsieger 1974).

Mit der Wende begann aber ein steiler Abstieg. Insbesondere aufgrund eines großen Aderlasses an Spielern (u.a. Vereins-Legende Wolfgang „Maxe“ Steinbach zum VfB Oldenburg) wurde in der Saison 1990/91 die Qualifikation zur 1. und zur 2. Bundesliga verpasst. Der einstige Spitzenclub fand sich in der dritten Liga wieder.

Hallo Malte. Beginnen wir unser Gespräch mit einem Blick auf die Nachwende-Zeit. In den Neunzigern herrschte fußballerisch erstmal Tristesse in Magdeburg

Die frühen 1990er waren so trist, dass selbst ich nicht mehr zum Club gegangen bin. Ok, mein Vater ist nicht mehr gegangen und der hätte mich ja sonst mitgeschleift. Ich war ja noch keine zwölf Jahre alt. Erfolg gab’s keinen, auf einmal spielte der FCM statt UEFA-Cup gegen Lübars, Zehlendorf oder Frohnau. Vor im Schnitt 600 Zuschauern. Auswärts gern auch mit unter 50 Zuguckern. Dazu verpasste der FCM die Qualifikation für die neu gegründete Regionalliga. Erst mit dem Aufstieg eben dahin 1997 war so was wie Erfolg zu spüren. Aber in der nächsten Ligareform – aus vier Regionalligen wurden zwei – verpasste der Club abermals die Qualifikation und spielte 2000/01 nur Oberliga.

Dann begann allerdings eine sportlich äußerst erfolgreiche Zeit. In der Saison 2000/01 machte der 1. FCM im DFB-Pokal Furore, besiegte den 1. FC Köln, Bayern München und den Karlsruher SC. In der Liga schoss der Club 120 Tore, wurde Staffel-Meister und setzte sich gegen den BFC Dynamo in den Aufstiegsspielen zur damals drittklassigen Regionalliga Nord durch. Aber es war nicht alles eitel Sonnenschein…

Ja, nur weil man einmal in die Drittklassigkeit aufsteigt, ist nicht alles gut. Mit viel Geld marschierte der FCM mit einer völlig überqualifizierten Mannschaft zum Aufstieg, wäre aber fast am DFB und einer geforderten Bankbürgschaft gescheitert. Die Fans haben dann eine knappe Million Mark gesammelt, ein paar Banken daraufhin die Bürgschaft erteilt. Aber die wurde dann auch in Anspruch genommen und am Ende war der Club 2002 insolvent, erhielt (trotz sportlichem Klassenerhalt) keine Lizenz und stieg ab.

Werfen wir mal einen Blick auf das Ernst-Grube-Stadion. Ich habe es damals ja auch noch selber erlebt. Ein sehr verwegener Makler hätte es vielleicht noch als Liebhaber-Objekt bezeichnet. Wie war der Zustand?

Zuletzt waren für den DFB-Pokal gegen Bayern mal wieder ein paar Glühbirnen in die Anzeigetafel geschraubt worden. Die letzte größere Investition war Mitte der 1990er der Versuch, einen Teil der Kurve zu sanieren. Ein Reinfall, der Abschnitt wurde schnell baupolizeilich gesperrt; der Trümmerberg, der das Stadionoval bildete, war wohl abgesackt.

Bonjour tristesse: Das Ernst-Grube-Stadion (Quelle: Wikipedia, „Mm aa ii kk“, CC BY-SA 3.0)

Aber das Ding atmete Geschichte, da hatten immerhin einige Europapokal-Spiele stattgefunden, mit Diego Maradona, Klaus Fischer oder Gerd Müller. Es gab Flutlicht, Laufbahn, Marathontor, Sitzbänke, zum Teil mit aufgeschraubten Sitzschalen. Komfort eher weniger. Ansonsten sah es aus, wie ein Stadion mit einem Zuschauerrekord von 50.000 plus aussieht, wenn dort über Jahre nur ein paar Tausend Leute kommen. Also insgesamt in der Saison.

Trotz der Insolvenz beschloss der Stadtrat am Standort ein neues Stadion zu Errichten. 2004 war dann Baubeginn und schon 2006 wurde eröffnet. Warum ging es dann doch so schnell?

Die Stadt hatte sich schon länger mit dem Thema Neubau befasst. Im Ursprung ging es darum, WM-Standort 2006 zu werden, das war vom Tisch als die FIFA 40.000 Zuschauer verlangte. Dennoch wollte das Land Sachsen-Anhalt das Projekt „Sanierung des Ernst-Grube-Stadions“ mit 30 Mio. DM Fördermitteln unterstützen. Das Land zog aber später seine Förderzusage wegen der Haushaltslage zurück.

Insgesamt war aber allen klar, dass das Ernst-Grube-Stadion ein Ablaufdatum mit sich herumtrug. Mit modernem Fußball hatte das einfach nichts mehr zu tun. Die Alternative einer Sanierung hatte sich dann auch irgendwann erledigt. Das Stadion bot dafür keine Basis, das war ja im Prinzip nur ein verdichteter Haufen Trümmer. So hat dann der Stadtrat den Neubau mit 25.000 Plätzen Minimum festgelegt. Nicht unumstritten, da gab es einen ortsansässigen FIFA-Schiedsrichter, der auch 15.000 für ausreichend hielt.

Es wurde dann ein Neubau für über 27.000 Zuschauer. Bei einem Zuschauerschnitt, der in den Jahren davor mit einer Ausnahme zwischen 2.300 und 2.800 pendelte. Warum hat man so groß geplant?

Die Spiele gegen Schalke, Bayern München, aber vor allem auch das Aufstiegsspiel gegen den BFC Dynamo hatten alle jenseits von 20.000 Zuschauern und haben noch mal illustriert, welches Potenzial in der Stadt vorhanden ist. Die alte Frage, auf Schnitt oder Highlight bauen, war hier also mit Highlight beantwortet.

Dazu waren die letzten Auftritte im Europapokal noch nicht Jahrzehnte her wie heute – und letztlich haben die Fans und die im Entstehen begriffene Ultràszene auch ihren Teil beigetragen.

Gab es Kritiker oder Gegner der Entscheidung?

Klar, wenn man derart viel Geld in die Hand nimmt, hat man immer die öffentliche Debatte. Ist auch normal und richtig, aber die Argumente müssen stimmen. Die hatte aber keiner so wirklich. Es gab dann in meiner Erinnerung nur die üblichen Leute, die lieber Kindergärten und Schulen bauen wollen. Und natürlich den Bernd Heynemann mit seinen 15.000 Plätzen. Wäre auch nicht wesentlich billiger geworden, vermutlich.

Ich kann mich wirklich nicht an wesentliche Vertreter mit Anti-Haltung erinnern. Die Bundesliga-Handballer vom SC Magdeburg hatten übrigens auch kein Problem. Wäre auch scheinheilig gewesen, die hatten ja erst 1997 ihre neue, von der Stadt gebaute, Arena bezogen. Aber auch heute kommen beide Sportclubs super miteinander aus.

Nach der Insolvenz ging es schnell wieder aufwärts und im Sommer 2006 schaffte man den Wiederaufstieg in die drittklassige Regionalliga. Im Dezember desselben Jahres, nur zweieinhalb Jahre nach der Ratsentscheidung wurde das Stadion eröffnet. Was passierte dann?

In der Bauphase durfte der Club noch im Heinrich-Germer-Stadion spielen, was nach dem Aufstieg mit knapp 5000 Zuschauern auch mehrere Male ausverkauft war. In der Rückrunde ging es dann in die neue Arena. In meiner Erinnerung gab es so eine kleine sportliche Findungsphase, bis endlich das erste Pflichtspieltor gelang. Dann kam der Erfolg und mit ihm auch die Zuschauer. Im Lauf der Rückrunde erarbeitete sich der Club eine echte Aufstiegschance zur 2. Bundesliga, so dass der Rückrundenschnitt mit über 13.000 Zuschauern schon deutlich einen Nachwenderekord darstellt. Dass am Ende der Saison nicht der Aufstieg stand, war dann schon wieder schicksalhaft – denn im kommenden Jahr wurde die Qualifikation für die neue 3. Liga ausgespielt. Und natürlich verpasste die der FCM. Nur wegen der schlechteren Tordifferenz. Aber auch in Liga 4 kamen mehr Zuschauer als in den Jahren vor dem Stadionneubau.

Nach dem Rückfall in die 4. Liga folgten einige Jahre, in denen der FCM den eigenen Ansprüchen hinterherrannte. Trotz enttäuschender Platzierungen, zwei Beinahe-Abstiegen in die Füntklassigkeit (von denen einer nur durch eine Liga-Reform verhindert wurde) und diverser Führungswechsel, Aufreger und Skandale pilgerten immer noch doppelt so viele Zuschauer in die neue Arena als in den letzten Jahren des Ernst-Grube-Stadions. Ab der Saison 2012/13 begann der Club sich zu fangen und zwei Jahre später konnte endlich der Aufstieg in die 3. Liga erreicht werden. Wie ging es dann weiter.

Erstmal ging mit dem Aufstieg natürlich etwas zu Ende. Die Generation Amateurfußball, die es seit 1990 nicht geschafft hatte, Profifußball nach Magdeburg zu holen. Auf der anderen Seite passierte mit dem Aufstieg Erstaunliches: Den schlafenden Riesen FCM gab es offenbar wirklich – und der war jetzt wach. In den ersten zwei Saisons wurde Magdeburg jeweils Vierter, hatte mehr als doppelt so viele Zuschauer wie im letzten Regionalligajahr – 18.400 statt 8.500 – und stieg dann 2018 auch noch in die 2. Bundesliga auf. Klar, dann kam noch mal ein Abstieg, Corona, ein Fast-Abstieg in die Regionalliga – aber aktuell ist der Club Zweitligist und begrüßt im Schnitt 24.600 Zuschauer. Nimm das, Bernd „15.000 reichen“ Heynemann.

Entwicklung der Zuschauerzahlen des 1.FC Magdeburg. Die Saison 2006/07 ist zweigeteilt in Hin- und Rückrunde dargestellt, um den Effekt der Stadioneröffnung im Dezember 2006 (nach Ende der Hinrunde) deutlicher zu visualisieren.

Welchen Anteil hatte der Stadion-Neubau an dieser Erfolgsgeschichte.

Das geht schon damit los, dass du jetzt Logen vermarkten konntest. Sowas gab’s halt gar nicht. Du kannst die Ticketpreise stärker differenzieren, hast jetzt auch Polstersitze und nicht nur Holzklasse – und stellst mit den teuren Plätzen die Finanzierung der günstigen Plätze sicher. Auch für die Ultràs, die hier in Magdeburg definitiv für die Stimmung verantwortlich sind. Das begeistert nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Profis auf und neben dem Platz.

Im Prinzip machen in Magdeburg aber alle im Stadion mit, wenn der Ultràblock etwas ansagt, das kenne ich in der Quote woanders nicht – und auch da bringt ein Stadion mit Dach und ohne Laufbahn bessere Voraussetzungen mit als das weitläufige Ernst-Grube-Stadion. Ein Stadionbesuch in Magdeburg ist schon ein Erlebnis.

Was wäre, wenn das Stadion gar nicht gebaut worden wäre oder deutlich kleiner?

Der Club hätte keine Lizenz für irgendwas bekommen. Das war einfach alternativlos angesichts des Zustands. Wir waren recht früh dran, aber inzwischen gibt es keinen größeren Standort im Osten ohne neues oder grundlegend renoviertes Stadion – allerhöchstens Babelsberg. Ohne neues Stadion höchstens Liga 4 – und wer weiß, wie lange das noch so ist.

Bei einem kleineren Stadion ist es so, dass das finanzielle Delta zu anderen Vereinen in Liga 3 auch nicht so groß gewesen wäre. In Magdeburg müssen wir den Nachteil im Sponsoring aufgrund der lokalen Wirtschaftskraft (bzw. der westlastigen Verteilung von Firmenzentralen und Entscheidern) durch Zuschauereinnahmen wettmachen. Mit weniger Zuschauerplätzen wäre das noch schwerer. Und auch in Liga 2 würde der Vorteil fehlen, den wir diesbezüglich zumindest gegen frisch aufgestiegene Clubs noch haben.

Danke für das Gespräch, Malte!

Titelbild: Wikipedia, Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0